Wie kann ich Selbstmitgefühl lernen?
Wir alle haben die Fähigkeit, mit uns selbst mitfühlender umzugehen. In den letzten Jahren habe ich selbst gelernt, wie wichtig Achtsamkeit und Selbstmitgefühl sind. Doch im vergangenen Jahr ist dieses Thema etwas in den Hintergrund geraten. Deshalb habe ich beschlossen, mich in diesem Jahr gezielt mit dem Thema Selbstmitgefühl auseinanderzusetzen und nehme seit Januar an einem achtwöchigen Kurs in achtsamem Selbstmitgefühl teil.
Im Gegensatz zu vielen anderen Seminaren und Workshops, die ich besucht habe, geht es hier vor allem um die Erfahrung. Die Montagabende, an denen der Kurs stattfindet, bringen Ruhe in meinen Alltag. Der Austausch in der Gruppe gibt mir viel. Es ist tröstlich zu erfahren, dass wir alle ähnliche Herausforderungen haben.
Natürlich ist es letztendlich entscheidend, im hektischen und oft überfüllten Alltag achtsamer und mitfühlender zu sein. Deshalb möchte ich ein paar Übungen mit dir teilen, die du selbst anwenden kannst, um dich im achtsamen Selbstmitgefühl zu üben.
Die beruhigende Berührung
Eine einfache Übung, die wir bereits in der ersten Woche gelernt haben, ist die "Beruhigende Berührung".
Wusstest du, dass du dich selbst trösten und umsorgen kannst? Wenn es dir nicht gut geht, kann es hilfreich sein, dich selbst liebevoll zu umarmen, deine Hände sanft auf dein Gesicht zu legen oder eine Hand auf dein Herz zu legen.
Probier es einfach aus. Atme dabei bewusst zwei bis drei Mal tief ein und aus und lege dann sanft eine Hand und anschließend die andere Hand auf deinen Herzraum. Spüre die Berührung und nimm die Wärme deiner Hand bewusst wahr. Verweile in dieser Position, bis du dich ruhiger und wohler fühlst.
Die selbstmitfühlende Pause
Besonders wirkungsvoll ist für mich die "Selbstmitfühlende Pause". Sie kann uns in Momenten helfen, in denen wir leiden, uns gestresst fühlen oder schwierige Gefühle aufkommen.
Kürzlich erging es mir so. An einem sonst schönen und entspannten Sonntagnachmittag stieß ich auf ein altes Notizbuch, in dem ich mir Geschäftsziele für das letzte Jahr notiert hatte. Beim Lesen wurde mir bewusst, dass ich mir einige dieser Ziele auch für dieses Jahr wieder vorgenommen hatte. Sofort meldete sich mein innerer Kritiker zu Wort.
"Was hast du eigentlich im letzten Jahr erreicht? Wenn du es damals nicht geschafft hast, warum solltest du es jetzt schaffen?"
Plötzlich fühlte ich mich wie eine Versagerin und meine Stimmung sank.
Glücklicherweise hatte ich in der Vorwoche die selbstmitfühlende Pause kennengelernt. Statt mich weiterhin selbst abzuwerten oder in Selbstmitleid zu versinken, zog ich mich für etwa 15 Minuten aus dem Geschehen zurück und durchlief die drei Schritte des achtsamen Selbstmitgefühls.
Achtsamkeit:
Nimm wahr, was du fühlst und spüre nach, ob du das Unbehagen (z.B. Leid, Stress, Anspannung) in deinem Körper wahrnehmen kannst. Beobachte, an welcher Stelle in deinem Körper es am deutlichsten spürbar ist. Benenne dann, was es ist. Sage freundlich zu dir selbst, entweder laut oder in Gedanken: "Das ist ein Moment des Leidens", "Das ist Stress" oder "So fühlt sich Angst an".
Gemeinsames Menschsein:
Bewusstsein darüber, dass alle Menschen Leid erfahren. Dies verbindet uns als Menschen. Du kannst sagen: "Leid gehört zum Leben", "Wir alle durchleben schwierige Zeiten in unserem Leben" oder "Ich bin nicht allein. Anderen geht es genauso wie mir".
Selbstfreundlichkeit:
Lege nun deine Hände auf dein Herz oder an eine andere beruhigende Stelle deines Körpers und spüre die Wärme und die Berührung. Tröste dich selbst oder behandle dich so, wie du einen geliebten Menschen in deiner Situation behandeln würdest. Sage unterstützende und freundliche Worte, die du jetzt gerne hören möchtest. Zum Beispiel: "Möge ich freundlich zu mir sein", "Möge ich mir geben, was ich brauche" oder "Möge ich mich so akzeptieren, wie ich bin".
Falls es dir schwerfällt, die richtigen Worte zu finden, denke an einen Freund oder eine geliebte Person, die sich in einer ähnlichen Situation befindet. Was würdest du dieser Person sagen? Kannst du dieselben Worte an dich selbst richten? Ich finde diese Übung sehr heilsam. An jenem Sonntagnachmittag wurde mir klar, dass ich im letzten Jahr viele andere Dinge erreicht hatte, die nicht auf meiner Liste standen. Ich sagte mir, dass es in Ordnung ist, sich Zeit für Dinge zu nehmen und dass ich gerne mein eigenes (oft langsames) Tempo gehe. Danach fühlte ich mich deutlich besser und konnte wieder liebevoll zu mir selbst und auch zu meinem Partner sein.
Die liebevolle Güte-Meditation
Eine Übung, die ich bereits aus dem "Achtsamen Selbstmitgefühl" Kurs kannte, ist die Metta-Meditation oder Meditation der liebevollen Güte. Sie ist eine traditionelle buddhistische Meditationsform und hilft dir dabei, eine Verbindung zu dir selbst und den Menschen, die du liebst, herzustellen.
Denke dabei an jemanden, den du gerne hast. Das kann eine Person oder ein Lebewesen sein, bei dem du ein warmes Gefühl verspürst oder das dir ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Lass ein lebendiges Bild dieser Person in deinem Geist entstehen und erkenne, dass sie sich genauso wie jedes Lebewesen Glück und Freiheit von Leid wünscht. Sende dieser Person Gefühle von Freundlichkeit, Zuwendung und liebevoller Güte. Du kannst dabei folgende Sätze verwenden:
Mögest du glücklich sein.
Mögest du in Frieden sein.
Mögest du gesund sein.
Mögest du mit Gelassenheit leben.
Wenn du dich vollständig von diesem Gefühl erfüllt fühlst, bringe dich selbst in den Kreis des Wohlwollens und richte die Sätze auf euch beide. Zum Beispiel: "Mögen wir glücklich sein", "Mögen wir in Frieden sein", "Mögen wir gesund sein", "Mögen wir mit Gelassenheit leben".
Wenn du damit fertig bist, lass das Bild der anderen Person in den Hintergrund treten und richte deine Aufmerksamkeit auf dich selbst. Sage dir selbst die Sätze und erlaube dir, liebevoll und freundlich zu dir selbst zu sein.
Möge ich glücklich sein.
Möge ich in Frieden sein.
Möge ich gesund sein.
Möge ich mit Gelassenheit leben.
Ich ermutige dich auch, deine eigenen Sätze der liebevollen Güte und des Mitgefühls zu finden. Überlege, was du in diesem Moment brauchst. Zum Beispiel: "Möge ich freundlich mit mir selbst umgehen" oder "Möge ich eine Verbindung zu anderen spüren".
Es sind nicht nur die Sätze selbst, die entscheidend sind, sondern die innere Haltung, mit der du dir selbst begegnest.
Im Buddhismus beginnt die Meditation übrigens damit, freundliche Gefühle auf sich selbst zu richten, bevor wir sie auf andere Lebewesen in dieser Welt ausdehnen.
Da es für Menschen im Westen oft schwieriger ist, freundliche Gefühle auf sich selbst zu lenken als auf andere, wurde die Meditation für den westlichen Gebrauch angepasst.
Du findest verschiedene Aufnahmen der liebevollen Güte-Meditation im Internet, auch im Kontext von "Achtsamem Selbstmitgefühl", die dich durch die Meditation führen können.